Auf dem Weg vom berüchtigten Moria-Lager zum LSE-Campus galt es, unzählige Hürden zu überwinden. Dank der Unterstützung von SAO und anderen Frauen konnte ich in das Forschungsumfeld der London School of Economics and Politics (LSE) eintreten und erfolgreich meinen Master abschliessen. Um es kurz zu machen: Nach dem Beginn des Krieges in Syrien war meine Ausbildung elf Jahre lang unterbrochen. All diese Zeit war ich ständig auf der Suche nach Leben, Zuflucht, Frieden, Sicherheit, Anerkennung, Akzeptanz und meinem Bildungsziel. Manchmal musste ich mein Leben riskieren, durch Berge und wilde Wälder wandern, das Meer und Grenzen überqueren.
Nachdem ich jahrelang in verschiedenen Ländern Zuflucht gesucht hatte, landete ich schliesslich in dem berüchtigten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos in Griechenland. Wie alle anderen Frauen in diesem Lager träumte auch ich von einem besseren Leben. Ich kam mit einem Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften nach Griechenland und trotz der schweren Bedingungen im Lager und der hoffnungslosen wirtschaftlichen Lage in Griechenland war meine Leidenschaft für Bildung nicht erlahmt, sondern sogar noch stärker geworden.
Dank der Hilfe, die ich als Klientin des Bashira Centres erhielt, konnte ich erst als Freiwillige und später als Angestellte Übersetzerin meine persönliche Situation verbessern und war dadurch in der Lage, andere geflüchtete Frauen zu unterstützen. Dies hielt mich aufrecht, bis ich mit Hilfe von SAO an die LSE kam, um meine Hochschulausbildung fortzusetzen.
In den Jahren, in denen meine Ausbildung unterbrochen war, hatte sich die akademische Welt weiterentwickelt, während ich darum kämpfte, meine grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zu decken. Als ich an die LSE kam, bedeutete es nicht nur harte Arbeit, all das zu kompensieren, was ich verpasst hatte, sondern auch, an Fernunterricht in einem mir unbekannten Land teilnehmen zu müssen. Die Computerkenntnisse, die ich in Syrien erworben hatte, waren mir abhandengekommen, da ich elf Jahre lang kaum einen Computer benutzt hatte. Als ich mich an der LSE bewarb, besass ich nicht einmal einen Computer. Ich fand mich völlig allein in einem akademischen Kampf wieder, während die äussere Umgebung mit Covid-19 schon toxisch genug war und jede*r um soziale Unterstützung kämpfte.
Das Schwierigste an dieser Erfahrung war, zu akzeptieren, dass ich nicht so technikaffin war wie andere Studierende. Das System mit seinen verschiedenen Elementen, einschliesslich des Inhalts der Kurse, der Lehr- und Prüfungsmethoden, war sehr kompliziert. Im ersten Semester verbrachte ich jeweils den ganzen Tag mit Lernen, aber ich kam trotzdem nur langsam voran, anders als ich mir das von vor elf Jahren gewohnt war. Das war auf der Ego-Ebene ungeheuer schwierig zu akzeptieren. Die Lernschwierigkeiten und das Ausmass der Verantwortung führten dazu, dass ich einen radikalen psychischen Druck entwickelte, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Ich fühlte mich inkompetent für den Studiengang und hörte eine Stimme in mir sagen: Ich sollte aufhören.
Vor Weihnachten 2020, als ich alles aufgeben wollte, wurden mir die Vorteile des Back on Track-Programms von SAO richtig bewusst – ich konnte nicht nur auf die finanzielle Unterstützung zählen, sondern auch auf die moralische und praktische: ich wurde getröstet, ermutigt und SAO stellte mir mit Thomas Kurer (Universität Zürich) einen wunderbaren Mentor zur Seite, der mich bis zum Abschluss tatkräftig unterstützte und beriet.
Ich musste elf Monate lang ununterbrochenen Druck aushalten, um einen Moment des Erfolgs zu erleben. Die körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung hatte ich eigentlich schon vergessen, als ich meine Abschlussnoten erhielt. Es ging nie um die Noten, sondern vielmehr darum, dass ich für die Zukunft anderer verantwortlich bin. Ich bin stolz, weil ich meinen Beitrag für andere Geflüchtete geleistet, meine Unterstützer*innen zufrieden gestellt und meinen Traum verwirklicht habe.
Während des Schreibens meiner Masterarbeit entwickelte ich einen neuen akademischen Ehrgeiz. Unmittelbar nach Abschluss des Masterstudiums suchte ich nach einer neuen akademischen Herausforderung. Meine Absicht zu promovieren, entwickelte sich spontan. Auch hier stehen mir noch Hindernisse im Weg, nicht zuletzt bei der Suche nach einer neuen Bildungseinrichtung, die meine Entschlossenheit und meinen akademischen Erfolg vor meine finanziellen Möglichkeiten stellt.
An dieser Stelle möchte ich alle Bildungseinrichtungen bitten, durch gebildete Menschen Kapital zu schlagen und nicht aus ihnen. Tragen Sie nicht zum Missbrauch des Flüchtlingskapitals bei, wodurch Sie Bildung zu einer Frage des Glücks, des Vermögens, der Nation oder der Politik machen. Und seien Sie sich bewusst, so wie ich es war, dass alles, was wir tun, Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen haben wird. Lassen Sie Ihren Einfluss positiv sein.
Mein herzlicher Dank gilt SAO, die mich durch diese harte Zeit mit Rat, Tat begleitet haben und der Solidarität von Spender*innen, die begabten, aber mittellosen Frauen ermöglichen, ihren akademischen Weg zu gehen.
Mehr zu Back on Track: sao.ngo/back-on-track
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